Abyss

Es ist so wie wenn im englischen Königshaus irgendeiner heiratet, Geburtstag hat oder aufs Klo geht: Es interessiert mich null. Genauso hab ich die mediale Aufregung um Trumps Inauguration gestern nicht verstanden. Gewählt wurde er schließlich bereits im November 2024, wie kann es da sein, dass sein Amtsantritt als Präsident so viele überrascht?
Klar, es gibt wohl diese Besonderheit, dass amerikanische Präsidenten, scheidende wie beginnende, noch schnell mal per Dekret und ohne Parlamentslegitimation alles mögliche verfügen können. Etwa einen Schwippschwager aus dem Gefängnis entlassen oder ins selbige bringen, sich von Klimaabkommen verabschieden oder aus Uno-Organisationen austreten. Iss halt wie in London: Bräuche aus grauer Vorzeit, Pomp und komische Hüte begeistern ein übersättigtes Publikum. Was solls. Ab morgen muß sich auch der vermeintliche Heiland Trump den politischen und finanziellen Realitäten seines Landes stellen, da ist es dann schnell vorbei mit Glanz und Pomp.
Außerdem muss der alte weiße Mann mit seiner Domina natürlich als Projektionsfläche für deutsche Fans autoritärer Regime herhalten. Da wird auch im deutschen Hinterland gefeiert: „Endlich mal einer der durchgreift … Kaum ist er Präsident, schon sind die Geiseln in Gaza frei, warum nicht gleich so“.

Gut, mit politischen Kurzschlüssen muß man immer rechnen. Aber die Probleme liegen schon etwas tiefer. Ich sage es offen: Vor drei Jahren hätte ich nicht geglaubt, dass der allgemeine politische Trend nach Wokeistan und Bullerbü irgendwie aufzuhalten ist. War ich davon überzeugt, dass ein Rest vernünftiger Politik nur im Kompromiss mit Kobolden am Küchentisch zu erreichen ist. Das ein Hauch freier Marktwirtschaft, überhaupt von Freiheit nur zu erhalten ist, wenn man wohlstandsverwahrlosten Schreihälsen mit Problempony oder -outfit politisch irgendwie entgegenkommt. Demokratie - das Volk will es so, alles OK.
Ich habe mich getäuscht. Wir haben uns getäuscht. Ja, die Klimaklebetrottel schreien laut. Aber eine schweigende Menge (Mehrheit?) baute und baut im Stillen eine Wut gegen links-grünen Selbst-Opferkult auf, der sich nun im Erstarken von politischen Kräften entlädt, denen von Wagenknecht bis Weidel eins gemeinsam ist: Sie wollen zurück zur guten alten Zeit. Natürlich die, die es so nie gab, die sie sich nur einbilden.

Obschon für mich erstaunlich, ist das alles ja grundsätzlich für einen Freien Demokraten in Deutschland nichts Unbekanntes. Die Angst vor alles Neuem, allem Freien, allem Selbstzubestimmenden ist so urdeutsch wie die Merseburger Zaubersprüche. Was für mich so unglaublich ist, ist dass mein Ex-Idol Elon Musk da mitmacht. Natürlich verstehe ich, dass er gegen überbordenden Bürokratismus zu Felde zieht. Dass eine der schwierigsten Aufgaben auf dem Weg zum Mond heute nicht der Bau einer Rakete, sondern der Erhalt einer Startgenehmigung ist. Natürlich hat er Recht, wenn er mehr unternehmerische Freiheiten fordert, generell mehr Freiheit und weniger Staat, weniger Bürokratismus. Aber geht das nicht auch ohne sich politisch gleich komplett zum Clown zu machen? Und ist die politische Rückkehr zum Feudalismus da der richtige Weg?
Denn, die Rechtspopulisten, denen er sich da politisch an den Hals wirft, wollen doch eben genau das nicht: Die Freiheit des Einzelnen in einer Gesellschaft unter Gleichen. Was sie wollen, ist nur die Freiheit, die sie für richtig halten unter ihrer autoritären Herrschaft. Und diese Herrschaft wird doch gerade von den Kleingeistigen, den Ängstlichen, den Bewahrern, herbeigesehnt. Das sind nicht die, die zum Mars wollen.
Wie auch immer, nicht jede Amtseinführung, nicht jede ausgestreckte Hand ist eine Aufregung wert. Machs gut Elon, aber Obacht: Wer zu lange in den Abgrund schaut, fällt runter. Frei nach einem deutschem Obrigkeitskritiker und Philosoph. Der verrückt wurde.