Fetisch

Karl Marx
Karl Marx. Deutscher Philosoph. Fetischismus-Kritiker. U.a. Bild: Pixabay

Sie ist zunächstmal einmalig: Obwohl es entsprechende Regelungen zum Ausbalancieren von Haushalt, BIP und Schulden in vielen Ländern, auch in der EU selbst, gibt, ist die Stringenz und die grundgesetzliche Verankerung der deutschen Schuldenbremse exklusiv. Natürlich, wie sollte es anders sein, im Land von Marx, Engels und des Rinderkennzeichnungsfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetzes.

Aber was steht denn drin im Artikel 109 und 115 des Grundgesetzes? Ist es marxscher Kapital- und Warenfestisch und wenn ja: Was solls? Ich fasse mal zusammen: Der Bund und die Länder dürfen Schulden pro Haushaltsjahr nur in Höhe von 0,35% des BIP aufnehmen. Darüberhinaus muß eine Notlage vorliegen. In Zahlen: 2023 lag das deutsche Bruttoinlandsprodukt bei rund 4.200 Milliarden EUR. Daraus würde eine grundgesetzlich erlaubte Schuldenneuaufnahme für dieses Haushaltsjahr von ca. 15 Milliarden EUR folgen. So einfach ist es aber wohl nicht. Tatsächlich waren es dann doch 60 Milliarden neue Schulden, denn es gibt Wenns und Abers, mit denen auch das BVerfG zurecht kommt, bevor es Haushaltsentwürfe für verfassungswidrig erklärt.

Es herrscht also keinerlei Mangel an Schulden. Aktuell steht allein der Bund mit 1.719 Milliarden EUR in der Kreide. Im Jahr 2024 müssen dafür rund 41 Milliarden EUR an Zinsen gezahlt werden. Bei einem Gesamtvolumen von 461 Milliarden EUR ist das der drittgrößte Posten im Haushalt.

Bundeshaushalt
Bundeshaushalt 2024 - https://www.bundeshaushalt.de/DE/Bundeshaushalt-digital/bundeshaushalt-digital.html

Anders ausgedrückt: Der Gesamtschuldenstand des Bundes ist knapp vier- (3,7-) mal so hoch wie der jährliche Gesamthaushalt. Die jährliche Zinslast ist höher als die Einzeletats des Ministeriums für Gesundheit, Bildung und Forschung, Wirtschaft und Klima, usw, usw.

Bei dieser Betrachtung sollte nicht nur die schwäbische Hausfrau weiche Knie bekommen. Aber: Rechnet man den Gesamtschuldenstand gegen das BIP, steht Deutschland mit 64% im internationalen Vergleich nicht mal so schlecht da. Andere Länder sind beim Gang zur Bank noch wesentlich risikofreudiger. Unsere Nachbarn in Frankreich leisten sich 110%, die USA 125%, Italien 141% und Japan gar 252% jährliche Verschuldung im Verhältnis zu ihrer Wirtschaftsleistung. Es gibt aber auch nicht wenige, die deutlich weniger verschuldet sind.

Ist es also nun richtig ein Aufweichen der Schuldenbremse, eine Abschaffung zu fordern? Notlagen üppiger zu verteilen, so wie es der Ex-Bundeskanzler Scholz von seinem Finanzminister forderte? Ist es überhaupt sinnvoll einfach nur über Gesamtzahlen zu reden, und nicht zu fragen, ob es nun konsumtive oder investive Schulden sind über die da geredet wird? Warum klammert sich die FDP als einzige Partei an die Schuldembremse wie an eine Stück Treibholz im Meer? Denn: üppiges Verschulden könnte ja einen anderen FDP-Fetisch begünstigen: Die Entlastung des Bürgers von Steuern?

Klar, es gibt diejenigen die behaupten, der Staat könne einfach soviel Geld drucken wie er wolle und alles ist OK. Also diejenigen die die MMT nicht verstanden haben. Oder nicht verstanden haben, was eine Theorie ist. Aber das meine ich gar nicht.

Ich wage mich mal ganz weit aus dem Fenster: Es gibt einen Aspekt, den Marx schlicht vergessen hat, als er das Streben nach Steigerung der Ergebnisse arbeitsteiliger Gesellschaften mit der quasireligiösen Verehrung von Fetischen verglich. Und von dem linke, grüne und zunehmend auch christlich-konservative Politiker immer weiter abrücken.

Und, ich sage das, obwohl ich auch die zweite Staffel von Squid Game gesehen habe und sehr wohl die Hinweise auf die Unmenschlichkeit des kapitalistischen Systems verstanden habe: Das Streben nach Gewinn, nach Erfolg, nach Verwirklichung der eigenen Träume des Menschen, des Individuums, die freie Marktwirtschaft  sind kein Gegensatz zur Wohlfahrt der ganzen Gesellschaft. Sie bilden deren Kern.

Deshalb müssen dem immer währenden Verlangen Einzelner, diese Freiheit einzuschränken, Grenzen gesetzt werden. Staatliches Schuldenmachen ist nichts weiter als die Einengung der Freiheit eben insbesondere die der kommenden Generationen. 

Es ist nichts unanständig daran, zu sagen: Wir behalten die Schuldenbremse. Wer mehr staatliche Schulden haben will, muß eben dafür sorgen, dass das Bruttosozialprodukt steigt. Im Gegenteil: Es ist wichtig, auch politischen Lenkungs- und Determinismusfanatikern klar zu machen, dass es nicht Aufgabe des Staates ist, die Lust am individuellen Erwirtschaften und Weiterentwickeln ständig aufs neue abzuwürgen. Sondern dafür zu sorgen, dass das Gegenteil passiert. Ihnen klar zu machen, dass Wirtschaftswachstum nicht gleichbedeutend ist mit immer mehr Fabrikarbeitern ohne Perspektive. Sondern dass es darum geht den bunten, unübersehbaren Strauß an individuellen Begabungen, Talenten und Fähigkeiten in einer Gesellschaft zu fördern und nach vorne zu entwickeln. Diese Entwicklung zu belohnen, anstatt zu verstaatlichen

Und damit das passiert müssen Machthaber, müssen Politiker, gerade und insbesondere demokratische Politiker Grenzen bekommen. Müssen sie, genau wie jeder in der Gesellschaft beweisen, dass sie kreativ sein können. Dass sie in ihrem Wirken Prioritäten setzen, mit Grenzen umgehen können. Und nicht einfach drauf los unser Geld, das Erbe unserer Kinder, verjubeln können. 

Dafür ist die Schuldenbremse da. Nicht das, was Sie bei der Überschrift gedacht haben.